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Aus dem Archiv, von der Pressestelle der DMLBonn e.V.


Kofi Annan
3. Weltethosrede

"WCRP Informationen", Nr. 67, 2004, der Weltkonferenz der Religionen fuer den Frieden WCRP/Deutschland, S. 4-9.


Der Generalsekretaer der Vereinten Nationen Kofi Annan hielt auf Einladung der Stiftung Weltethos und von Prof. Dr. Hans Kueng am 12. Dezember 2003 im Festsaal der Universitaet Tuebingen nach dem englischen Premierminister Tony Blair und der UN Hochkommisarin Mary Robinson die 3. Weltethosrede.

Lassen Sie mich zunaechst Herrn Professor Kueng danken - nicht nur fuer seine freundlichen einfuehrenden Worte, sondern auch fuer seine Einladung, an diesem Ort zu Ihnen zu sprechen. Ich war tief beruehrt, als er mir vor 18 Monaten in Berlin ein Stueck Papier reichte mit der Bitte, nach seinem 75. Geburtstag am 19. Maerz 2003 als Geburtstagsgeschenk fuer ihn eine Rede zu halten.

Wie Sie wissen, lieber Hans, hatte ich nicht vor, Sie so lange auf dieses Geburtstagsgeschenk warten zu lassen. Ich hatte gehofft, schon am 30. April hier sein zu koennen. Der Druck der Weltereignisse machte es damals unmoeglich, aber jetzt stehe ich vor Ihnen. Ich kann diese Rede jedoch nicht wirklich als ein Geschenk von mir an Sie betrachten. Vielmehr sind Sie es, die mir eine grosse Ehre erweisen, indem Sie mich gebeten haben, hier an Ihrer eigenen Wirkungsstaette zum Thema Weltethos zu sprechen, ueber das in unserer heutigen Zeit wohl niemand profundere Ueberlegungen angestellt hat als Sie.

Eigentlich wird mir klar, dass der Titel, den ich fuer meinen Vortrag gewaehlt habe, fast etwas anmassend erscheinen koennte. Wenn jemand so ausfuehrlich und so inspirierend ueber universelle Werte geschrieben hat wie Sie, scheint es einigermassen gewagt zu sein, wenn ich hier in Ihrer Stiftung Weltethos ankomme und die Frage in den Raum stelle, ob es solche Werte ueberhaupt noch gibt!

Ich will Sie nicht auf die Folter spannen und Ihnen vorweg verraten, dass meine Antwort "Ja!" lautet. Die Werte des Friedens, der Freiheit, des sozialen Fortschritts, der Gleichberechtigung und der Menschenwuerde, die in der Charta der Vereinten Nationen und in der Allgemeinen Erklaerung der Menschenrechte verankert sind, besitzen heute nicht weniger Gueltigkeit als vor mehr als einem halben Jahrhundert, als diese Dokumente von den Vertretern vieler verschiedener Nationen und Kulturen verfasst wurden.

Die Umsetzung dieser Werte in die Realitaet menschlichen Verhaltens war zur damaligen Zeit keineswegs besser als heute. Diese grossen Dokumente waren der Ausdruck einer optimistischen Vision, keine Beschreibung bestehender Realitaeten. Wir sollten nicht vergessen, dass unter den Verfasser- und Unterzeichnerstaaten die Sowjetunion zum Hoehepunkt des stalinistischen Terrors sowie zahlreiche keineswegs reuige Kolonialmaechte waren.

Die Wertvorstellungen unserer Gruender sind auch heute noch nicht vollstaendig verwirklicht. Davon sind wir leider noch weit entfernt. Aber sie werden heute viel weitgehender akzeptiert als noch vor wenigen Jahrzehnten. Insbesondere die Allgemeine Erklaerung der Menschenrechte hat weltweit Eingang in die Rechtsordnungen gefunden, und sie ist heute in jedem Land ein Bezugspunkt fuer die Menschen, die sich nach den Menschenrechten sehnen. Die Welt ist besser geworden, und die Vereinten Nationen haben einen wichtigen Beitrag dazu geleistet.

Aber in unserem Zeitalter der Globalisierung besteht auch ein dringenderer Bedarf an solchen universellen Werten als je zuvor.

Jede Gesellschaft muss durch gemeinsame Werte verbunden sein, sodass ihre Mitlieder wissen, was sie voneinander erwarten koennen und dass es bestimmte, von allen getragene Grundsaetze gibt, die ihnen eine gewaltlose Beilegung ihrer Differenzen ermoeglichen.

Dies gilt fuer oertliche Gemeinwesen ebenso wie fuer Staatsgemeinschaften. Heute, da die Globalisierung uns alle einander naeher bringt und Dinge, die Menschen am anderen Ende der Welt sagen oder tun, sich nur Augenblicke spaeter auch auf unser Leben auswirken, empfinden wir auch die Notwendigkeit, in einer globalen Gemeinschaft zu leben. Wir koennen dies nur tun, wenn wir ueber globale Werte verfuegen, die uns verbinden.

Die Ereignisse der juengsten Zeit haben jedoch gezeigt, dass wir unsere globalen Werte nicht als selbstverstaendlich betrachten koennen. Ich spuere auf der ganzen Welt grosse Angst, dass das Geflecht der internationalen Beziehungen beginnen koennte, sich aufzuloesen - und dass moeglicherweise die Globalisierung selbst gefaehrdet ist.

Die Globalisierung hat grosse Chancen mit sich gebracht, aber auch viele neue Belastungen und Verwerfungen. Sie hat eine Gegenreaktion ausgeloest - und zwar genau deswegen, weil es uns nicht gelungen ist, sie im Einklang mit den universellen Werten zu steuern, an die zu glauben wir Anspruch erheben.

In der Allgemeinen Erklaerung der Menschenrechte verkuenden wir, dass jeder das Recht auf einen Lebensstandard hat, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewaehrleistet, einschliesslich Nahrung, Kleidung, Wohnung, aerztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen.

Vor drei Jahren bekraeftigten alle Staaten in der Millenniums-Erklaerung, dass die internationalen Beziehungen im 21. Jahrhundert von bestimmten Grundwerten gepraegt sein muessen: Freiheit, Gleichheit, Solidaritaet, Toleranz, Achtung vor der Natur und gemeinsam getragene Verantwortung. Sie verabschiedeten konkrete, erreichbare Ziele - die Millenniums-Entwicklungsziele -, um den Schandfleck der extremen Armut zu tilgen und Rechte wie das Recht auf Bildung, auf gesundheitliche Grundversorgung und auf sauberes Wasser fuer alle Realitaet werden zu lassen.

Viele Millionen Menschen auf der Welt sind heute weit davon entfernt, diese Rechte in der Praxis ausueben zu koennen. Dies koennte anders werden, wenn die Regierungen in den reichen wie auch in den armen Laendern ihren Verpflichtungen nachkommen wuerden. Jedoch konzentriert sich heute, drei Jahre nach der Millenniums-Erklaerung, unsere Aufmerksamkeit auf Fragen von Krieg und Frieden, und wir laufen Gefahr zu vergessen, was wir damals feierlich versprachen, naemlich die grundlegenden Menschenrechte zu verwirklichen und die Grundbeduerfnisse der Menschen zu befriedigen.

Die Globalisierung hat uns einander naeher gebracht in dem Sinn, dass wir alle von den Handlungen anderer betroffen sind, aber nicht in dem Sinn, dass wir alle die Vorteile wie auch die Lasten teilen. Stattdessen haben wir zugelassen, dass sie uns immer weiter auseinander treibt, indem sie das Wohlstandsgefaelle und die Machtunterschiede zwischen den Gesellschaften wie auch im Inneren der Gesellschaften verstaerkt.

Eine solche Entwicklung spricht universellen Werten Hohn. Es ist nicht ueberraschend, dass diese Werte in einer Gegenreaktion genau in dem Augenblick, in dem wir sie am meisten brauchen, Angriffen ausgesetzt sind.

Ob man nun den Bereich des Friedens und der Sicherheit, den Handel und die Maerkte oder auch die sozialen und kulturellen Einstellungen betrachtet, es steht zu befuerchten, dass wir uns in einer Zeit gegenseitigen Misstrauens, der Furcht und des Protektionismus befinden - einer Zeit, in der sich die Menschen sich selbst zuwenden, anstatt sich zu oeffnen, sich mit anderen auszutauschen und voneinander zu lernen.

Von der Globalisierung enttaeuscht haben sich viele Menschen auf engere Auslegungen des Begriffs der Gemeinschaft zurueckgezogen. Dies fuehrt wiederum zu einander widersprechenden Wertsystemen, die die Menschen dazu veranlassen, einige ihrer Mitmenschen von Mitgefuehl und Solidaritaet auszuschliessen, weil sie nicht die gleichen religioesen oder politischen Ueberzeugungen, das gleiche kulturelle Erbe oder nur nicht die gleiche Hautfarbe haben.

Wir haben gesehen, welch verheerende Folgen solche partikularistischen Wertsysteme haben koennen: ethnische Saeuberungen, Voelkermord, Terrorismus und die Ausbreitung von Furcht, Hass und Diskriminierung.

Es gilt daher nunmehr, unseren universellen Werten erneut Geltung zu verschaffen.

Wir muessen den kaltbluetigen Nihilismus von Attentaten, wie sie am 11. September 2001 gegen die Vereinigten Staaten begangen wurden, entschlossen verurteilen. Wir duerfen aber nicht zulassen, dass solche Anschlaege einen Zusammenprall der Kulturen provozieren, in dem Millionen Menschen aus Fleisch und Blut einer Schlacht zwischen zwei Abstraktionen - dem Islam und dem Westen - zum Opfer fallen, als ob islamische und westliche Werte unvereinbar waeren.

Sie sind es naemlich nicht, wie Ihnen die Millionen glaeubiger Muslime, die hier in Deutschland und anderswo auf der Welt leben, als erste versichern wuerden. Dennoch muessen viele dieser Muslime jetzt erleben, dass sie Gegenstand von Verdaechtigungen, Schikanen und Diskriminierung werden, waehrend in Teilen der islamischen Welt jeder, der mit dem Westen oder westlichen Werten in Verbindung gebracht wird, Feindseligkeit oder sogar Gewalt ausgesetzt ist.

Angesichts einer derartigen Herausforderung koennen wir den universellen Werten nur dann erneut Geltung verschaffen, wenn wir bereit sind, gruendlich darueber nachzudenken, was wir darunter verstehen und wie wir sie umsetzen koennen.

Das bedeutet, dass wir uns auch darueber klar sein muessen, was sie nicht sind. So sollte auf jeden Fall klar sein, dass die Gueltigkeit universeller Werte nicht davon abhaengt, ob sie ueberall eingehalten oder angewandt werden. Ein Ethikkodex ist immer der Ausdruck eines Ideals oder einer Bestrebung, ein Massstab, an dem sich moralisches Fehlverhalten messen laesst, nicht so sehr eine Vorschrift, die sicherstellen soll, dass ein solches Fehlverhalten nie vorkommt.

Unsere universellen Werte verlangen von uns auch, dass wir die menschlichen Eigenschaften, sowohl die guten als auch die schlechten, die wir mit allen unseren Mitmenschen gemein haben, anerkennen und dass wir die gleiche Achtung vor der Menschenwuerde und der Sensibilitaet der Angehoerigen anderer Gemeinschaften zeigen, die wir auch von ihnen erwarten.

Das bedeutet, dass wir stets bereit sein sollten, andere Menschen ihre Identitaet selbst definieren zu lassen, und dass wir nicht darauf bestehen sollten, sie nach unseren eigenen Kriterien einzuteilen, so wohlgemeint es auch sein mag. Wenn wir aufrichtig an individuelle Rechte glauben, dann muessen wir anerkennen, dass das Identitaetsgefuehl des Einzelnen nahezu immer mit dem Gefuehl der Zugehoerigkeit zu einer oder mehreren Gruppen verknuepft ist, wobei die Zugehoerigkeiten sich manchmal konzentrisch gestalten, andere Male wiederum sich ueberschneiden.

Daher gehoert zu den Rechten des Einzelnen auch das Recht, Empathie und Solidaritaet mit anderen Menschen zu empfinden, die den einen oder anderen Aspekt seiner Identitaet mit ihm teilen.

Dies wiederum sollte Auswirkungen darauf haben, wie wir die staatsbuergerschaftlichen Pflichten in unseren nationalen Gemeinwesen definieren. Wir sollten die Menschen nicht zwingen, sich von dem Los ihrer Glaubensbrueder oder ethnischen Verwandten, die Buerger anderer Staaten sind, zu distanzieren.

So sollten zum Beispiel Muslime nicht geschmaeht oder verfolgt werden, weil sie sich etwa mit den Palaestinensern, den Irakern oder den Tschetschenen identifizieren - egal was man von den nationalen Anspruechen und Klagen dieser Voelker oder von den in ihrem Namen benutzten Methoden denken mag. Und wie heftige Empfindungen die Handlungen des Staates Israel bei manchen von uns auch hervorrufen moegen, wir sollten stets das Recht der israelischen Juden achten, in Sicherheit innerhalb der Grenzen ihres eigenen Staates zu leben, und das Recht aller Juden, diesen Staat als Ausdruck der Identitaet und des Ueberlebens ihres Volkes hochzuachten.

Wenn es aber falsch ist, einen bestimmten Glauben oder ein bestimmtes Wertsystem wegen der Handlungen oder Aussagen einiger seiner Anhaenger zu verurteilen, dann muss es ebenso falsch sein, den Gedanken, dass gewisse Werte universell sind, aufzugeben, nur weil einige Menschen diese Werte nicht zu akzeptieren scheinen. Ja, ich meine sogar, dass gerade die Existenz derartiger Verirrungen uns verpflichtet, die gemeinsamen Werte zu bekraeftigen und zu wahren. Wir muessen imstande sein zu sagen, dass bestimmte Handlungen und Ueberzeugungen nicht nur unseren eigenen sittlichen Vorstellungen zuwiderlaufen, sondern von allen Menschen verworfen werden sollten.

Der Besitz solcher gemeinsamen Werte loest natuerlich nicht alle Probleme, und er aendert auch nichts daran, dass die verschiedenen Gesellschaften einen gewissen Gestaltungsspielraum haben, um Probleme auf unterschiedliche Art zu loesen.

Wir moegen uns alle aufrichtig zur Gewaltlosigkeit und zur Achtung vor dem Leben bekennen und koennen doch unterschiedlicher Auffassung darueber sein, ob es legitim ist, Menschen zu toeten, die selbst getoetet haben, oder Gewalt anzuwenden, um Unschuldige zu verteidigen, denen Gewalt angetan wird. Wir moegen alle aufrichtig fuer Solidaritaet mit unseren Mitmenschen und fuer eine gerechte Wirtschaftsordnung eintreten und doch keine Einigung darueber erzielen koennen, mit welcher Politik eine solche Wirtschaftsordnung am besten verwirklicht werden kann.

Wir moegen uns alle der Toleranz und der Wahrheitstreue tief verbunden fuehlen und uns doch nicht darueber einigen, wie tolerant wir gegenueber Staaten oder Systemen sein sollen, die uns intolerant und verlogen erscheinen.

Und wir moegen alle aufrichtig fuer Gleichberechtigung und Partnerschaft zwischen Mann und Frau eintreten, ohne uns darueber einig zu sein, wie weit die gesellschaftliche Rollenverteilung von Maennern und Frauen gehen soll oder ob es Aufgabe der Gesellschaft ist, die Heiligkeit der Ehe zu gewaehrleisten.

Bei allen diesen Fragen ist zu erwarten, dass die Meinungsverschiedenheiten noch lange andauern werden - sowohl zwischen den Gesellschaften als auch in ihrem Inneren. Universelle Werte haben nicht den Zweck, alle derartigen Differenzen zu beseitigen, sondern uns vielmehr dabei zu helfen, sie unter gegenseitiger Achtung und ohne gegenseitige Zerstoerung zu bewaeltigen.

Toleranz und Dialog sind unverzichtbar, da es ohne sie keinen friedlichen Austausch von Ideen und keine Moeglichkeit gibt, zu einvernehmlichen Loesungen zu gelangen, die es unterschiedlichen Gesellschaften gestatten, sich auf ihre eigene Weise weiterzuentwickeln. Die Gesellschaften, die sich selbst als modern betrachten, muessen erkennen, dass Modernitaet nicht automatisch Toleranz erzeugt. Selbst ueberzeugte Liberale und Demokraten koennen bisweilen bemerkenswert intolerant gegenueber anderen Ansichten sein. Man sollte vor solchen Versuchungen stets auf der Hut sein

Andererseits muessen Gesellschaften, die grossen Wert auf Tradition legen, erkennen, dass Traditionen am besten ueberleben, wenn sie nicht starr und unveraenderlich sind, sondern lebendig und offen fuer neue Ideen, sowohl von innen als auch von aussen.

Darueber hinaus mag es zutreffen, dass Toleranz und Dialog innerhalb einer Gesellschaft langfristig am besten durch bestimmte institutionelle Regelungen gewaehrleistet sind, wie etwa durch Mehrparteienwahlen oder die Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative.

Derartige Regelungen sind jedoch kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Keine Gesellschaft sollte meinen, sie habe ein absolutes Recht oder eine absolute Pflicht, sie anderen aufzuzwingen, nur weil sie selbst sie fuer nuetzlich befunden hat. Jede Gesellschaft sollte ueber genuegend Freiraum verfuegen, nicht etwa um die universellen Werte zu verzerren oder zu untergraben, sondern um sie in einer Weise zum Ausdruck zu bringen, die ihren eigenen Traditionen und ihrer eigenen Kultur Rechnung traegt.

Werte sind nicht dazu da, um Philosophen oder Theologen zu dienen, sondern um den Menschen bei der Gestaltung ihres Lebens und bei der Organisation ihrer Gesellschaften behilflich zu sein. Das heisst, dass wir auf internationaler Ebene Kooperationsmechanismen brauchen, die stark genug sind, um universellen Werten Geltung zu verschaffen, aber gleichzeitig flexibel genug, um den Menschen dabei zu helfen, diese Werte in einer Weise zu verwirklichen, die in ihrem jeweiligen Umfeld auch tatsaechlich anwendbar ist.

Letztendlich wird uns die Geschichte nicht nach unseren Worten, sondern nach unseren Taten beurteilen. Diejenigen, die gewisse Werte am lautesten predigen - wie die Werte der Freiheit, der Rechtsstaatlichkeit und der Gleichheit vor dem Gesetz -, haben eine besondere Verpflichtung, in ihrem eigenen Leben und in ihren eigenen Gesellschaften nach diesen Werten zu leben und sie gleichermassen auf ihre Feinde wie auf ihre Freunde anzuwenden.

Gegenueber Menschen, deren Meinung man teilt oder deren Verhalten man billigt, ist keine Toleranz gefordert. Es ist wenn wir zornig werden, dass wir es am noetigsten haben, die von uns proklamierten Grundsaetze der Bescheidenheit und der gegenseitigen Achtung anzuwenden.

Wir sollten auch nie mit den Dingen zufrieden sein, wie sie sind. Der Zustand der Welt laesst dies nicht zu.

Was uns selbst, die Vereinten Nationen, betrifft, so sind wir manchmal versucht, unseren offensichtlichen Wert und Nutzen fuer die Welt zu verkuendigen und den Mitgliedstaaten die Schuld zu geben, dass sie von einer so wertvollen Institution keinen besseren Gebrauch machen. Das ist jedoch zu wenig.

Wir muessen alles in unserer Macht Stehende tun, um die Vereinten Nationen zu verbessern, das heisst, sie fuer die Voelker der Welt, in deren Namen die Organisation gegruendet wurde, nutzbringender zu machen und bei der Anwendung der universellen Werte, zu denen sich alle ihre Mitglieder bekennen, mit noch besserem Beispiel voranzugehen.

Das bedeutet, dass wir in vielen Aspekten unserer Taetigkeit wirkungsvoller werden muessen, insbesondere bei unseren Bemuehungen zur Foerderung und zum Schutz der Menschenrechte.

Menschenrechte und universelle Werte sind nahezu synonyme Begriffe - solange wir verstehen, dass Rechte nicht in einem Vakuum existieren. Sie ziehen entsprechende Pflichten nach sich, und Pflichten sind nur dort sinnvoll, wo sie erfuellt werden koennen. Sollen setzt Koennen voraus.

Wie lautet also die Antwort auf die provokative Frage, die ich als Titel meiner Rede gewaehlt habe? Gibt es noch universelle Werte? Ja, es gibt sie, aber wir duerfen sie nicht fuer selbstverstaendlich halten.

Sie muessen sorgfaeltig durchdacht,
sie muessen verteidigt,
und sie muessen gestaerkt werden.

Und wir muessen in uns selbst den Willen finden, nach den Werten zu leben, die wir verkuenden - in unserem Privatleben, in unseren lokalen und nationalen Gemeinwesen und in der Welt.

Ich danke Ihnen.



Deutsche Muslim-Liga Bonn e.V. - 1425 / 2004