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Aus dem Archiv, von der Pressestelle der DMLBonn e.V.


Dialog und Integration

Vortrag von Mohammad Aman Hobohm zur konstituierenden Sitzung des Islam-Forum NRW (2003)

Als ich vor etwa 25 Jahren - ich befand mich damals noch im Ausland - vom damaligen Leiter des "Islam-Archivs Deutschland" und Vertreter des "Islamischen Weltkongresses" fuer die Bundesrepublik Deutschland, Muhammad Salim Abdullah, gebeten wurde, fuer eine von ihm geplante Veroeffentlichung ueber den Islam in Deutschland meine Gedanken ueber den Dialog mit den Kirchen und anderen gesellschaftlichen Gruppen in Deutschland zu Papier zu bringen, da schrieb ich ihm unter anderem folgendes:

"Als Muslim begruesse und bejahe ich die von den grossen christlichen Kirchen eingeleiteten Schritte‚ die ueber die Begegnung und den Dialog zwischen Christen und Muslimen zur Verstaendigung und Zusammenarbeit der Menschen, die sich zu diesen beiden Weltreligionen bekennen, fuehren sollen. Damit, so hoffe ich, hat ein neuer Abschnitt in der Geschichte der gegenseitigen Beziehungen begonnen

Im Abbau der Konfrontation und in der Hinwendung zum Dialog sehe ich ein Anzeichen dafuer, dass sich die christlichen Kirchen anschicken, ihren Absolutheitsanspruch und ihr Missionsverstaendnis neu zu ueberdenken. In diesem Zusammenhang sind Erklaerungen, wie sie in juengster Vergangenheit von befugten Vertretern der katholischen Kirche abgegeben worden sind und das Islamdokument des Zweiten Vatikanischen Konzils besonders hilfreich."

Ich warnte gleichzeitig vor zu hohen oder falschen Erwartungen. Gespraeche ueber die Glaubensgrundlagen sollten daher nur der gegenseitigen Information dienen. Jeder auch noch so insgeheim gehegte Wunsch, den anderen zur eigenen Ansicht zu bekehren, waere fuer das zarte Pflaenzchen Dialog verderblich. Es gibt fuer beide Seiten unaufgebbare Positionen. Jeder Missionsversuch unter dem Deckmantel des Dialogs koennte, ja muesste, das Scheitern der Begegnung nach sich ziehen. Kaum verheilte Wunden wuerden wieder aufbrechen. Anstatt zu einer Kooperation zu kommen, wuerden wir wieder in eine gefaehrliche Konfrontation geraten.

"Fuer naiv halte ich den Versuch gutmeinender, aber nicht unbedingt wirklichkeitsnaher kleiner Minderheiten auf beiden Seiten, einen Synkretismus anzustreben, der von der Mehrheit doch nicht akzeptiert wuerde. Was dabei herauskaeme, waere eine neue Sekte, und damit waere niemandem gedient.

Es kommt beim Dialog darauf an, dass sich Christen und Muslime besser kennenlernen. Die Vorurteile, die seit Jahrhunderten das Bild des Islam im christlichen Verstaendnis - und umgekehrt - gepraegt haben, muessen beseitigt und das tiefe Misstrauen abgebaut werden, das die eine Seite gegen die andere hegt.

Dies - und davon bin ich fest ueberzeugt, ist jedoch nur moeglich, wenn sich Christ und Muslim mit echter gegenseitiger Achtung begegnet und der eine den anderen anerkennt und gelten laesst und der Dialog ausschliesslich zu dem Zweck gefuehrt wird, Verstaendnis zu wecken, wo bisher Unkenntnis und Missverstaendnis herrschten, Eintracht und Verstaendigung zu saehen, wo unterschwellige und auch offene Feindschaft und Feindseligkeit die Beziehungen zueinander bestimmten - und schliesslich und endlich, um jene Grundlage des Vertrauens zu schaffen, auf der allein eine breitgefaecherte Zusammenarbeit zum Wohl beider Gemeinschaften aufgebaut werden kann."

Soweit meine damaligen Aeusserungen zum Dialog. Sie liegen,und das sei noch einmal gesagt, fast 30 Jahre zurueck.

Ich habe dem, was ich damals sagte, kaum etwas hinzuzufuegen, es sei denn der Hinweis, dass Bruder Salim Abdullah diese Gedanken in seinem 1981 erschienenen Buch "Geschichte des Islams in Deutschland" veroeffentlicht hat.

Inzwischen haben Hunderte von Dialog-Veranstaltungen mit allen moeglichen Partnern stattgefunden und das nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europaeischen Laendern.

Ich habe selbst an zahlreichen Treffen teilgenommen. Man trifft im wesentlichen immer die gleichen Personen. Man kann schon fast von professionellen Dialog-Teilnehmern sprechen.

Aber was haben diese Veranstaltungen bewirkt?

Ist das Verstaendnis untereinander groesser geworden?

Haben sich die Beziehungen zueinander verbessert?

Hat der Dialog die Integration gefoerdert?

Ist das gegenseitige Misstrauen abgebaut worden?

Ich bedauere, diese Fragen aus meiner Sicht negativ beantworten zu muessen.

Vor allem seit dem 11.9.01 ist die Situation fuer uns Muslime in diesem Land eher schlechter geworden. Die Verteufelung des Islam und seiner Anhaenger hat zugenommen. Selbst fuehrende Politiker haben sich nicht gescheut, den Islam negativ darzustellen und zu beurteilen. So ist der muslimische Glaube sogar als eine Irrlehre bezeichnet worden.

In den Medien haben abfaellige Berichte ueber den Islam und seine Anhaenger zugenommen.

Den Vertretern des Islam in Deutschland wird Unglaubwuerdigkeit und Doppelzuengigkeit unterstellt. Auch werden einige von ihnen grundlos verdaechtigt, Kontakte zu extremistischen islamischen Gruppen im Ausland zu unterhalten. Selbst Praeses Kock von der Evangelischen Kirche hat oeffentlich Zweifel an der Glaubwuerdigkeit von Amtstraegern der muslimischen Spitzenorganisationen durchblicken lassen.

Die Muslime fuehlen sich verunsichert - das Verhaeltnis zur nichtmuslimischen Umwelt ist entschieden getruebt und belastet, und das alles trotz jahrzehntelanger Dialog - Bemuehungen!

DIESE SITUATION SOLLTE ABER NICHT ZUR AUFGABE SONDERN ZUR VERSTAERKUNG DIESER BEMUEHUNGEN FUEHREN!

Vor allem sollten die Meinungsbildner in diesem Land, die Vertreter der Politik und der Medien staerker in diese Bemuehungen eingebunden werden, und ganz besonders aber auch die Basis, die einzelnen Gemeinden.

Sheikh Bashir Ahmed Dultz, der sich um den Dialog zwischen Muslimen, Christen und Juden besonders verdient gemacht hat, hat einmal gesagt: DER DIALOG SOLL NICHT DIE RELIGIONEN VERAeNDERN, SONDERN DIE MENSCHEN.

Haben wir die Menschen durch die bisherigen Dialog-Bemuehungen wirklich veraendert?

WAS ERWARTEN WIR MUSLIME:

Wir erwarten vor allem Ehrlichkeit, Unvoreingenommenheit und die Bereitschaft, sich den Islam von den Muslimen selbst und nicht von Andersglaeubigen erklaeren zu lassen, und ihnen, den Muslimen, dann auch zu glauben. Gegenseitiges Vertrauen ist Voraussetzung fuer den Erfolg aller gegenseitigen Bemuehungen um Verstaendnis.

Es geht aus unserer Sicht nicht an, dass jeder meint, er koenne den Qur'an interpretieren - und ich meine da in erster Linie Nichtmuslime! Die Interpretation des Qur'an ist eine Wissenschaft, die ein intensives Studium voraussetzt, und deshalb sollte man sie denen ueberlassen, die sich den Muehen eines solchen Studiums unterzogen haben.

VOR ALLEM ABER ERWARTEN WIR, DASS DER DIALOG HINUNTERGETRAGEN WIRD AN DIE BASIS. Dass Kontakte zwischen Moscheen und Kirchen hergestellt werden, und vertieft werden ‚wo sie bereits existieren.

Auch moechten wir, dass die Muslime eingebunden werden in die Arbeit der Wohlfahrtsverbaende. Wir sind uns bewusst, dass wir zu diesem Zweck eine eigene Organisation oder Institution schaffen muessen, die dann Mitglied des paritaetischen Wohlfahrtsverbands werden sollte. Hier brauchen wir Rat und Hilfe.

Ich moechte die Gelegenheit, heute zu Ihnen ueber den Dialog sprechen zu duerfen, nicht voruebergehen lassen, ohne nicht auf eine Organisation aufmerksam zu machen, die schon unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs zum Zweck der interkonfessionellen Zusammenarbeit gegruendet wurde:

DIE ARBEITSGEMEINSCHAFT DER KIRCHEN UND RELIGIONSGESELLSCHAFTEN IN GROSS-BERLIN:

In der damaligen Vier-Sektoren-Stadt Berlin bahnte sich schon bald nach dem Krieg ein Zusammenschluss aller religioesen Kreise an. Er konstituierte sich am 14. April 1947 in der "Arbeitsgemeinschaft der Kirchen und Religionsgesellschaften in Gross-Berlin (AKR)".

Auf Initiative von Probst Heinrich Grueber,der als Mitglied der "Bekennenden Kirche" waehrend der Nazi-Zeit mehrere Jahre im KZ war, und der unermuedlich die erforderlichen Vorarbeiten leistete, wurde eine Satzung beschlossen und von folgenden Persoenlichkeiten unterzeichnet:

Bischof Dibelius fuer die Evangelische Kirche
Pfarrer Tomberge fuer die Roemisch-Katholische Kirche
Siegmund Weltlinger fuer die Juedische Religionsgemeinschaft
Superintendent Pieper fuer die Evang. - Freikirchliche Gruppe
Superintendent Grube fuer die Evang. - Lutherischen Freikirchen
Pfarrer Buchta fuer die Alt-Katholische Kirche und
Pfarrer Vermehren fuer die Christengemeinschaft.

Der Nationalsozialismus hatte zahlreiche Religionsgemeinschaften verfolgt oder verboten. Erst nach seiner Zerschlagung konnte ein neuer Anfang gemacht werden. Wichtige Impulse gingen hierbei von jenen fuehrenden Persoenlichkeiten des religioesen Lebens aus, die aus Gefaengnissen oder Konzentrationslagern zurueckkehrten. Angesichts der Bedrohung, die sie existentiell erfahren und erlitten hatten, waren sie innerlich aufgeschlossen und bereit, fuer die Werte und die Freiheit religioesen Wirkens gemeinsam einzutreten, wie es in der Praeambel zur Satzung heisst. Dreissig Glaubensgemeinschaften nahmen damals diese Einigungsformel an, unter ihnen auch die Muslime, die Buddhisten und die Anhaenger der MazdaznanBewegung.

"Wer das Spannungsfeld des religioesen Lebens kennt", so schrieb der Archivar der Evangelischen Kirche in Deutschland, Dr. Hermann Delfs, 1977 in seinem Vorwort zu einer Neuauflage der in den fuenfziger Jahren von der Arbeitsgemeinschaft herausgegebenen Veroeffentlichung ‚Was glauben die Andern', versteht das Mass an Einsicht, das hierin zum Durchbruch gekommen war." DIE AKR HABE EIN PRAKTISCHES BEISPIEL GEGEBEN FUR PARTNERSCHAFT UND GLEICHBERECHTIGUNG VON KIRCHEN UND RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN.

Geschaeftsfuehrer wurde KURT EBERHARD, ein Quaeker, Schwager des noch 1945 im KZ Flossenburg hingerichteten Pastors Dietrich Bonhoeffer. Kurt Eberhard hat sich durch sein unermuedliches Eintreten fuer die Belange a l l e r Religionsgemeinschaften in Berlin grosse Verdienste erworben.

Hauptziel der Arbeitsgemeinschaft war, wie bereits erwaehnt, das gemeinsame Eintreten fuer die Werte und Freiheit des religioesen Wirkens, WOBEI VORAUSGESETZT WURDE, DASS DIE MITGLIEDER, d.h. die angeschlossenen Kirchen und Religionsgemeinschaften, SICH GEGENSEITIG ACHTEN.

Bei dem Aufbau der Organisation galt es, den Gefahren zu begegnen, die durch die grosse Verschiedenheit der Kirchen und Religionsgemeinschaften drohten. Dies wurde dadurch erreicht, dass der Rat (Vorstand), der alle der AKR obliegenden Aufgaben zu erfuellen und die AKR nach aussen zu vertreten hatte, so zusammengesetzt war, dass auch die grossen Kirchen nur durch je einen Delegierten vertreten waren.

Der Rat (Vorstand) bestand aus 7 Mitgliedern, von denen je ein Mitglied von folgenden Gruppen bestellt wurde:

1. von der Evangelischen Kirche
2. von der Roem. - Katholischen Kirche
3. von der Juedischen Gemeinde und sonstigen nicht-christlichen monotheistischen Religionsgemeinschaften (u. a. den Muslimen)
4. von der evang. - freikirchlichen Gruppe
5. von den lutherischen Freikirchen
6. von den Rom-freien katholischen Kirchen
7. von der Gruppe der uebrigen Religionsgesellschaften und religioesen Organisationen

Alle sieben Mitglieder waren gleichberechtigt und hatten je Mitglied nur eine Stimme. Beschluesse des Rats sind zustande gekommen, wenn kein Mitglied widerspricht. Es gab also ein Veto-Recht fuer jedes Ratsmitglied. Durch Anerkennung dieser Regelung hatten die beiden grossen Kirchen zwar eine Selbstbeschraenkung auf sich genommen, dafuer konnten sie aber eine echte Partnerschaft und ein gutes Einvernehmen mit den kleinen Gruppen finden, das der Zusammenarbeit je laenger je mehr zugute kam.

Ein Ehrengericht konnte angerufen werden, wenn sich ein Mitglied, d.h. eine der AKR angeschlossene Religionsgemeinschaft, durch ein anderes Mitglied angegriffen, verletzt, beleidigt oder diffamiert fuehlte. Dies war vor allem dann von Bedeutung, wenn sich eine Religionsgemeinschaft von dem Vertreter einer anderen Religionsgemeinschaft oeffentlich, d.h. in Predigten, Reden und Vortraegen, vor allem aber in den Medien, angegriffen fuehlte.

Die Arbeitsgemeinschaft setzte sich bei den Behoerden fuer Belange ihrer Mitglieder ein, auch bei den Militaerbehoerden in der damals vom Alliierten Kontrollrat verwalteten Stadt.

Ferner vermittelte die Arbeitsgemeinschaft Zugang zu den Medien.

Mit dem RIAS (Rundfunk im Amerikanischen Sektor) bestand eine Uebereinkunft mit der Arbeitsgemeinschaft gemaess der jedes Mitglied, d.h. jede Religionsgemeinschaft, turnusmaessig Morgenandachten oder Morgenfeiern im Sender veranstalten konnte. Diese jeweils eine halbe Stunde dauernden Sendungen wurden jeden Sonntag ausgestrahlt. Auch von den Id-Gebeten (Festgottesdienste ) wurden durch Vermittlung der Arbeitsgemeinschaft regelmaessig Reportagen gesendet.

Die Arbeitsgemeinschaft hatte es uebernommen, die konfessionskundliche Literatur und Medienberichterstattung zu ueberpruefen und gewissermassen als neutraler Beobachter die Verleger von Buechern und Zeitschriften und die Redakteure von Zeitungen auf Irrtuemer und schiefe Darstellungen aufmerksam zu machen. Dies geschah sowohl im Interesse der betroffenen Religionsgemeinschaft wie auch der Oeffentlichkeit, die einen Anspruch auf sachgemaesse Information hat. Die meisten der angesprochenen Verlage, Redaktionen und Autoren haben auf diese Hinweise und Berichtigungswuensche positiv reagiert und - im Falle von Buechern und Zeitschriften - sie in spaeteren Auflagen beruecksichtigt. Dies von der Arbeitsgemeinschaft ausgeuebte "Waechteramt" kam besonders den kleinen Gemeinschaften zugute - auch uns Muslimen - ‚die sich oft nicht richtig verstanden oder unsachgemaess interpretiert sahen.

In diesem Zusammenhang moechte ich noch einmal auf eine von der Arbeitsgemeinschaft herausgegebene Veroeffentlichung hinweisen, die ganz wesentlich zum besseren Verstaendnis der einzelnen Mitglieder - vor allem der weniger bekannten - beigetragen hat. Es handelt sich um die Schrift ‚‚WAS GLAUBEN DIE ANDERN", in der in Form von Selbstdarstellungen jede Religionsgemeinschaft sich selbst beschreiben konnte.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass in der "Arbeitsgemeinschaft der Kirchen und Religionsgesellschaften von Gross-Berlin" eine Form des Dialogs und der Zusammenarbeit entwickelt wurde, die in kleinen Schritten Partnerschaft und Gleichberechtigung aller Kirchen und Glaubensgemeinschaften in der Stadt erstrebte.

Ich bin froh, dass ich vor einem halben Jahrhundert vier Jahre lang, waehrend meiner Zeit als Leiter der Berliner Moschee, in der Arbeitsgemeinschaft mitwirken und dadurch Zeitzeuge des Beginns des interkonfessionellen Dialogs und der interkonfessionellen Zusammenarbeit in der Bundesrepublik Deutschland werden durfte.

Der Dialog, das Gespraech, in unserem Fall zwischen Muslimen und Nichtmuslimen, ist ein wichtiges Mittel des gegenseitigen Kennenlernens, des gegenseitigen Verstehens, damit wir in Frieden und Eintracht miteinander leben, damit wir gemeinsam die Probleme angehen, die das taegliche Leben aufwirft, damit wir in dieser multikulturellen, pluralistischen Gesellschaft miteinander, nicht gegeneinander oder aneinander vorbei unseren Beitrag zum Allgemeinwohl leisten.

Aber es gibt noch ein anderes, vielleicht sogar wichtigeres Ziel des Dialogs als blosses miteinander Sprechen, als wohlwollendes Verstaendnis fuer den Anderen, und das ist meines Erachtens die Foerderung der Integration unserer auslaendischen muslimischen Mitbuerger in unsere Gesellschaft.

Integration - meine Damen und Herren - und das sei vor allem auch meinen muslimischen Schwestern und Brueder gesagt, bedeutet "Eingliederung" in ein bestehendes soziales Gebilde, in eine bestehende Gesellschaft, nicht aber "Aufgehen" in der Mehrheitsgesellschaft ohne Hinterlassung einer Spur der frueheren kulturellen Identitaet. Und bei diesem Prozess der Eingliederung meiner auslaendischen muslimischen Schwestern und Brueder in die deutsche Gesellschaft koennte das Islamforum in Nordrhein Westfalen, zu dessen erster Sitzung wir heute zusammengekommen sind, sicher so manchen wichtigen und wertvollen Beitrag leisten.

Die Muslime, und das kann ich und darf ich, der ich seit mehr als sechzig Jahren selbst Muslim bin, aus eigener Erfahrung sagen, tun sich schwer mit der Integration. Das hat vielfaeltige Gruende: religioese, kulturelle, ethnische und soziale. Obwohl ich versucht waere, diese im Einzelnen darzulegen, glaube ich, dass diese heutige erste, konstituierende Sitzung unseres Forums dazu schon aus Zeitgruenden wenig geeignet ist - wir muessen uns ja auch noch Gespraechstoff fuer die kommenden Zusammenkuenfte aufsparen.

Aber einige wesentliche Faktoren, die eine Integration behindern, moechte ich dennoch erwaehnen:

Ich glaube, dass sich hierzulande die Muslime, vor allem ihre Vertreter -und die sollten ja richtungsweisend sein - noch nicht ausreichend mit dem Thema "Integration" befasst haben. ie Hinweise in den religioesen Quellen auf den Status von religioesen Minderheiten in einem muslimischen Staat, besser gesagt "in d e m "islamischen Staat, fuellen Baende. umgekehrt aber sind Hinweise auf Stellung, Rechte und Pflichten eines Muslims in einem nicht-muslimischen Staat ‚vor allem auf Konzessionen, ie ein Muslim gegenueber der Gesellschaftsordnung und den Lebensgewohnheiten in einem solchen Staat machen darf, duenn gesaet. Sie kulminieren in der Aufforderung zur Emigration.

Es fehlt uns Muslimen, wenn ich das einmal so sagen darf, eine THEOLOGIE DER INTEGRATION. Kann das Leben im Stadtstaat von Medina des fruehen achten Jahrhunderts auch uns Muslimen, die wir im 21. Jahrhundert als Minderheit in einem nicht-muslimischen Staat leben, als Modell dienen?

Und wenn nicht, was koennte an seine Stelle treten?

Dies sind Fragen von fundamentaler Bedeutung, deren Beantwortung wir uns - auch wenn es uns schmerzt - nicht auf Dauer entziehen koennen, selbst dann nicht, wenn - zur Zeit jedenfalls noch - jeder, der diese Fragen stellt, also auch ich heute, mit schwerwiegenden Konsequenzen bis hin zur "Exkommunizierung" rechnen muss.

Dass wir hier lebenden Muslime uns offenbar nicht ausreichend bewusst sind, was Integration bedeutet, ist fuer mich hinreichend durch die verschiedenen Prozesse bewiesen, die muslimischerseits zum Beispiel in der Kopftuchfrage und des Schaechtens vor deutschen Gerichten gefuehrt wurden. Haette man diese Fragen nicht auch aussergerichtlich loesen koennen? Aber das haette natuerlich auch eine groessere Bereitschaft zur Toleranz auf Seiten der Mehrheitsgesellschaft erfordert.

Auf welche herkoemmlichen Pflichten koennen wir und worauf koennen wir nicht verzichten, vorausgesetzt, dass wir ueberhaupt bei unserer Pflichtenlehre Abstriche machen duerfen, das ist die Frage, die ich mir immer und immer wieder stelle - eine Gewissenfrage, eine Glaubensfrage, die mich manchmal schier verzweifeln laesst.

Ich hatte immer gehofft, dass fuer meine jungen deutschen Schwestern und Brueder, die zum Islam konvertiert oder - was manche Muslime lieber hoeren: revertiert - sind, dass fuer sie die Integration in die deutsche Gesellschaft, der sie ja entstammen, keine Probleme aufwerfen duerfte, und dass sie unseren auslaendischen Bruedern und Schwestern den Weg in diese Integration weisen wuerden. - Nun, die Zukunft wird es zeigen ‚ob mich meine Hoffnung nicht truegt.

Integration, das ist zunaechst eine Herausforderung fuer die zu uns aus dem Ausland gekommenen muslimischen Mitbuerger. Aber nicht nur fuer sie. Auch die Mehrheitsgesellschaft muss mithelfen, dass die Integration gelingt.

Wie und in welcher Form das geschehen kann ist, generell auf Auslaender bezogen, bereits hunderte von Malen in einschlaegigen Gremien diskutiert worden: Im Vordergrund stehen deutscher Sprachunterricht und wohl auch Gesellschaftskunde, sowie Hilfestellung diverser Art im Umgang mit Behoerden und Aemtern.

Angesichts der Rolle, die die Religion im Leben eines Muslims spielt -auch im Leben der Mehrheit der unter uns lebenden auslaendischen Muslime - hielte ich die Einfuehrung eines integrationsfoerdernden islamischen Religionsunterricht fuer muslimische Kinder, deren Zahl sich auf ueber 500 000 belaeuft, fuer wuenschenswert und nuetzlich, vorausgesetzt, dass dieser Religionsunterricht auf der von mir angesprochenen "Theologie der Integration" basiert und dass er in deutscher Sprache abgehalten wird.

Vor einigen Jahren hatten sich Graefin und Graf von der Groeben bereit erklaert, fuer die Errichtung eines Stiftungslehrstuhls fuer die Ausbildung muslimischer Religionslehrer an einer deutschen Universitaet betraechtliche finanzielle Mittel bereitzustellen. Als Sitz des Lehrstuhls wurde die Universitaet Bonn ins Auge gefasst, deren Rektor bereit war, einen solchen Lehrstuhle einzurichten, und bei der Landesregierung von Nordrhein Westfalen einen Antrag auf Genehmigung zur Errichtung des Lehrstuhls stellte. Die Landesregierung aber lehnte diesen Antrag mit der nicht ueberzeugenden Begruendung ab: Man wolle zunaechst das Ergebnis eines Pilot-Projekts abwarten, in dessen Rahmen an einigen Schulen im Lande ein "Islamkunde - Unterricht" erteilt werden sollte.

Damit hat man sich der einmaligen Gelegenheit begeben, auf lange Sicht gesehen einen Islamunterricht an deutschen Schulen einzufuehren, der von Lehrkraeften erteilt wird, die an einer deutschen Hochschule unter Befolgung eines von Regierungsseite gebilligten Studienplans ausgebildet wurden. Was besseres konnte den Schulbehoerden in diesem Land widerfahren!?

Ueber einen solchen Religionsunterricht, der natuerlich im Unterschied zur "Islamkunde" der Landesregierung auf die Vermittlung von Glaubensinhalten nicht verzichten wuerde, haette man die Gelegenheit, muslimische Kinder und Jugendliche schon frueh nicht nur mit den Erfordernissen einer Integration in die Gesellschaft, in der sie leben, sondern auch mit der Vereinbarkeit von Religion, d.h.in diesem Fall Islam, und der angestrebten Integration vertraut zu machen.

In der Unterstuetzung eines solchen Projekt saehe ich eine Aufgabe des Forums.

Ich weiss nicht, wie weit Sie, meine Damen und Herren, darueber informiert sind, welchen entwuerdigenden Massnahmen einzelne Muslime in diesem Land, aber auch - und das ist fuer uns besonders schmerzlich - Moscheen und andere muslimische Einrichtungen seitens deutscher Behoerden, vor allem der Polizei, seit dem 11.9.2001 in steigendem Masse ausgesetzt waren und immer noch sind. Da als Grund die Terrorbekaempfung angefuehrt wird, in deren Namen Menschenwuerde und Menschenrechte bedenkenlos verletzt werden duerfen, sollte es ein Anliegen aller Menschen sein, denen ein friedliches Zusammenleben von Muslimen und Nichtmuslimen am Herzen liegt, Behoerden ‚aber auch einzelne Politiker, die in der Terrorbekaempfung das "Summum bonum" sehen, auf den Boden der Realitaet zurueckzufuehren und fuer eine Entgiftung der Atmosphaere zwischen den Kreuzrittern unserer Tage und den Muslimen hier und anderswo einzutreten.

Auch hier koennte das Forum segensreich taetig werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir Muslime, die wir in diesem Land leben, Deutsche und Auslaender, fuehlen uns nicht nur missverstanden und verunglimpft von den immer zahlreicher werdenden Islam-Experten,deren Schar durch eine neue Kategorie von Experten, den "Terrorismus-Experten" immer mehr anschwillt, nein, wir fuehlen uns verunsichert, ja sogar bedroht, nicht von Hooligans, von Skinheads und anderen Aussenseitern der Gesellschaft, sondern von den Huetern von Recht und Ordnung, von denen also, von denen wir Schutz und Unterstuetzung, zumindest aber Fairness erwarten. Und das, meine Damen und Herren, ist eine denkbar schlechte Basis fuer Dialog und Integration.

Veroeffentlicht mit Genehmigung des Autors



Deutsche Muslim-Liga Bonn e.V. - 1424 / 2003