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Aus dem Archiv, von der Pressestelle der DMLBonn e.V.


Arabische Verfolgte im Nationalsozialismus

von Goetz Nordbruch
qantara.de, 26. Januar 2005


Fuer eine differenzierte Sicht

Zu den Opfern des Nationalsozialismus zaehlen auch zahlreiche arabische Migranten, die in Konzentrationslagern interniert wurden. Doch waren sie nicht derselben systematischen Verfolgung ausgesetzt wie Juden, Sinti und Roma. Hintergruende von Goetz Nordbruch

"Beirut, Berlin, Beirut" lautet der Titel eines autobiographischen Berichtes, den der libanesische Journalist Kamil Mrowa wenige Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges veroeffentlichte. Istanbul, Sofia, Wien und Berlin waren die Orte seines Exils, in das Mrowa in den Jahren 1941 - 1944 gezwungen wurde.

Kollaborateure der Nationalsozialisten

Als Mitarbeiter einer deutschen Presseagentur, die im Nahen Osten fuer die Verbreitung nationalsozialistischer Propaganda zustaendig war, floh er vor den britischen und franzoesischen Truppen, die den Libanon im Sommer 1941 vom pro-deutschen Vichy-Regime befreiten.

Diese Erzaehlung des spaeteren Gruenders der renommierten Tageszeitung al-Hayat, in der dessen Erlebnisse nach der Flucht in den nationalsozialistischen Machtbereich wiedergegeben werden, ist eine der wenigen Quellen, in denen ein arabischer Autor ueber seinen Alltag unter nationalsozialistischer Herrschaft berichtet.

Trotz aller Beschwernisse und Einschraenkungen, die Mrowa waehrend dieser Kriegsjahre schildert, genoss er als Angehoeriger der Gruppe um den mit den Achsenmaechten zusammenarbeitenden Jerusalemer Mufti Hadj Amin al-Husseini zahlreiche Privilegien.

Sie unterscheiden sein Schicksal grundlegend von Erfahrungen, die andere Araber als Studenten, Arbeiter oder Kriegsgefangene mit dem Nationalsozialismus sammelten.

Mit aufwendiger Recherche bemuehte sich der kuerzlich verstorbene Berliner Nahosthistoriker Gerhard Hoepp in den vergangenen Jahren darum, die Spuren arabischer Migranten zu rekonstruieren, die sich jenseits von Kollaboration und Anbiederung im nationalsozialistischen Deutschland aufhielten.

Arabische Opfer des NS-Regimes

Hoepps Studien geben Auskunft ueber die alltaeglichen Konfrontationen mit rassistischer Ideologie und rassentheoretisch begruendeten Verfolgungen. Von Schikanen durch Buerger bis hin zu Inhaftierungen und Ermordungen in Konzentrationslagern reichten die Repressionen, die er anhand von Akten nachzeichnet.

Die Nuernberger Gesetze von 1935 bildeten die rechtliche Grundlage fuer staatliche Verfolgungen, die insbesondere die so genannten "Rassenschande" unter schwerste Strafe stellten. Zusammen mit Zwangssterilisierungen von "Traegern artfremden Blutes" gehoerten die in den Nuernberger Gesetzen vorgesehenen Strafandrohungen zu den unmittelbaren Konsequenzen der nationalsozialistischen Rassentheorien.

Staatliche Sondergesetze und der Rassismus der Bevoelkerung bildeten den alltaeglichen Rahmen, dem sich Araber aehnlich wie andere "nicht-arische" Menschen ausgesetzt sahen.

Ein Schwerpunkt des Interesses, das von Hoepp verfolgt wurde, bestand darin, die Situation von arabischen Haeftlingen in den unterschiedlichen Internierungs- und Konzentrationslagern zu beleuchten.

Neben den zeitweise ueber 80.000 nordafrikanischen Kriegsgefangenen, die als Angehoerige der franzoesischen Armee in den zahlreichen Stalags und Frontstalags inhaftiert waren, lassen sich in den Quellen fuer nahezu alle Konzentrationslager arabische und muslimische Haeftlinge identifizieren.

Widerstand, Teilnahme am Spanischen Buergerkrieg, Sabotage, vor allem aber auch bereits geringste Eigentumsdelikte oder Uebertretungen von Regelungen fuer Fremd- und Zwangsarbeiter dienten zur Begruendung ihrer Internierungen.

Ueber 450 Personen arabischer, vornehmlich nordafrikanischer Herkunft konnten von Hoepp namentlich anhand von verschiedenen Archivalien ausgemacht werden, ihre tatsaechliche Zahl duerfte allerdings deutlich hoeher liegen.

Opfergedenken als Politikum?

Die Erinnerung an diese Opfer nationalsozialistischer Politik, die weder in der deutschen noch in der arabischen Oeffentlichkeit Erwaehnung finden, veranlasste den arabischen Fernsehsender al-Jazeera im Januar 2003 zu einer Reportage aus der KZ-Gedenkstaette Sachsenhausen.

"Wo ist dein Grab, arabisches Opfer?" fragte Aktham Suliman, der Deutschland-Korrespondent des Senders, und forderte, den arabischen Opfern in aehnlicher Weise wie den juedischen Opfern des Holocaust zu gedenken.

Diese Forderung versteht sich ausdruecklich als eine politische. Israel monopolisiere die Rolle der Opfer, heisst es im Vorspann der Sendung, und es sei an der Zeit, endlich auch der arabischen Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken.

Historisch ist eine solche Parallelisierung unhaltbar. Im Rahmen einer Tagung der KZ-Gedenkstaette Neuengamme zum Thema "Erinnerungspaedagogik in der deutschen Einwanderungsgesellschaft" beschaeftigte sich ein Workshop zum Schicksal von Muslimen in Konzentrationslagern unter anderem mit dieser Frage.

Rosa Fava, paedagogische Mitarbeiterin der Gedenkstaette, wendete sich dabei deutlich gegen die Botschaft eines solchen Vergleiches. Trotz der Bedeutung, die der Erinnerung auch an muslimische und arabische Opfer zukomme, sei es wichtig, so Fava, diese Verfolgungen von der systematischen Vernichtungspolitik gegenueber Juden und Sinti und Roma zu unterscheiden.

Differenzierung zwingend notwendig

Im Gespraech mit Besuchern sei es vielmehr notwendig, die Vielschichtigkeit des Themas hervorzuheben. "Waren eigentlich auch Muslime im Konzentrationslager?" koenne zwar als Frage, die von Jugendlichen oft gestellt wird, eindeutig mit einem "Ja" beantwortet werden.

Dennoch sei es wichtig zu betonen, dass die Muslime nicht wegen ihres Glaubens in den Konzentrationslagern inhaftiert wurden, erklaert die Mitarbeiterin der Gedenkstaette, in der die Existenz von muslimischen Haeftlingen in Zukunft ausdruecklich thematisiert werden soll.

Trotz der rassistischen Repressionen seien Muslime eben nicht, wie die Juden, systematisch verfolgt und schliesslich ermordet worden.

Im Fall der Gedenkstaette Neuengamme stellt sich fuer die Paedagogen zudem ein besonderes Problem: es handelt sich bei den Muslimen nicht um typische Opfer.

Die Mehrheit der muslimischen Haeftlinge bestand hier aus ehemaligen Mitgliedern der muslimischen SS-Einheit Handschar, die von den Nationalsozialisten unter den Muslimen des Balkans fuer den dortigen Einsatz gegen Partisanen ausgebildet wurde.

Ende 1943 wurden ueber 800 der in der Ausbildung befindlichen SS-Leute nach einer Meuterei in verschiedene Konzentrationslager deportiert. Zum Verstaendnis ihrer Situation im Lager ist ein Hinweis auf die vorangegangene Kollaboration unerlaesslich.

Die arabischen Opfer, die sich lange "im Schatten des Mondes" befanden, wie Gerhard Hoepp schreibt, werfen so nicht nur fuer die historische Forschung weiterhin zahlreiche Fragen auf.

Auch in paedagogischer Hinsicht stellt ihr Schicksal die Gedenkstaetten vor die Herausforderung, die teilweise widerspruechliche Politik des Nationalsozialismus gegenueber Muslimen und Arabern angemessen zu vermitteln.

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Deutsche Muslim-Liga Bonn e.V. - 1426 / 2005