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Aus dem Archiv, von der Pressestelle der DMLBonn e.V.


7. Maerz 2001, Neue Zuercher Zeitung

Das Recht auf Rueckkehr als Voraussetzung fuer den Frieden

Die Palaestina-Fluechtlinge fordern Gerechtigkeit


Solange Israel die Verantwortung als Verursacher der palaestinensischen Fluechtlingssituation von sich weist und sich weigert, die Rechte der Fluechtlinge anzuerkennen, wird es im Nahen Osten keinen dauerhaften Frieden geben. Ob die Fluechtlinge und vor allem deren Nachkommen nach ueber 50 Jahren des Exils wirklich in ihre Haeuser zurueckkehren wollen, ist eine offene Frage. Die Massenimmigration der letzten Jahre in Israel zeigt nach Ansicht des Autors, dass Moeglichkeiten zur Absorption von Neueinwanderern vorhanden sind.
Von Mouin Rabbani *

Man vergisst oft, dass der Staat Israel auf Grund einer Uno-Resolution errichtet worden ist, der Resolution 181 der Vollversammlung vom 29. November 1947, um genau zu sein. Mit einem ebenso beispiellosen, aber insgesamt noch weiseren Schritt machte die Resolution 273 vom11. Mai 1949 Israels Aufnahme in die Weltorganisation von einer expliziten Verpflichtung abhaengig, die Charta der Vereinten Nationen anzuerkennen und Uno-Resolutionen in Bezug auf den arabisch-israelischen Konflikt zu respektieren. Spezifisch erwaehnt wird dabei die Resolution194 vom 11. Dezember 1948. Sie spricht palaestinensischen Fluechtlingen das Recht zu, in ihr Zuhause zurueckzukehren, sowie das Recht auf Entschaedigung fuer den Verlust von oder Schaden an Eigentum. Seit 1948 und bis heute ist diese Resolution durch die Weltorganisation alljaehrlich mit ueberwaeltigender Mehrheit neu bestaetigt worden.

Verzicht nicht akzeptabel

In einer normalen Welt waere zu erwarten, dass die Diskussion ueber die Resolution 194 auf eine Debatte ueber den Ausschluss Israels aus der Organisation wegen willentlicher und systematischer Verletzung der Bedingungen seiner Mitgliedschaft seit mehr als einem halben Jahrhundert hinauslaufen wuerde. Ebenso waeren konkrete Massnahmen der internationalen Gemeinschaft zu erwarten, um sicherzustellen, dass Israel diese Bedingungen rasch erfuellt. Da die Welt jedoch ist, wie sie ist, steht die palaestinensische Fuehrung unter starkem internationalem Druck, von der Gueltigkeit und Anwendbarkeit einer bindenden Resolution internationalen Rechts abzuruecken, unter dem Vorwand, es sei fuer den Nahostfrieden dienlich, Millionen palaestinensischer Fluechtlinge im staendigen Exil zu lassen. Welche juristischen Implikationen - wenn ueberhaupt - die Massenpreisgabe der Fluechtlinge durch die heutige palaestinensische Fuehrung oder den vorgeschlagenen Palaestinenserstaat haben wird, ist unklar, denn das Recht auf Rueckkehr und Entschaedigung ist den Betroffenen in erster Instanz zugesprochen.

Kein Naturphaenomen

Sicher ist dagegen, dass ein Verzicht auf Fluechtlingsrechte im arabisch-israelischen Aussoehnungsprozess etwa dasselbe ausloesen wuerde, wie etwa die Zerstoerung der Aksa-Moschee sich auf die Verstaendigung zwischen Muslimen und Juden auswirken wuerde. Die palaestinensischen Fluechtlinge sind kein Naturphaenomen. Vielmehr wurden sie, wie von prominentesten israelischen Gelehrten bestaetigt, nach Plan geschaffen, in einem der erfolgreichsten - auf jeden Fall der am erfolgreichsten vermarkteten - modernen Faelle von ethnischer Saeuberung. Das Projekt, in Palaestina einen juedischen Staat zu errichten - «Palaestina so juedisch zu machen, wie England englisch ist», wie der Zionistenfuehrer Chaim Weizmann an der Konferenz von Versailles nach dem Ersten Weltkrieg erklaerte -, waere ohne die Entfernung der einheimischen palaestinensischen Bevoelkerung ja nicht denkbar gewesen.

Zerstoerung von Doerfern

Es ist historisch belegt, dass rund 90 Prozent aller Palaestinenser in dem Gebiet, aus dem der Staat Israel wurde, vertrieben oder waehrend des arabisch-israelischen Krieges von 1948 durch Einschuechterung ins Exil gedraengt worden sind, gemaess einer vorbedachten Strategie der zionistischen Fuehrung, die von ihren militaerischen Kraeften mit ausserordentlicher Grausamkeit umgesetzt wurde. Wie der verstorbene israelische Ministerpraesident Menachem Begin in seinen Memoiren stolz festhielt, verfolgte das Massaker an 254 Maennern, Frauen und Kindern vom April 1948 in Deir Yasin den Zweck, in ganz Palaestina Massenterror und Massenflucht auszuloesen. In Haifa, Jaffa und anderen Kuestenstaedten wurden Palaestinenser ins Meer geworfen, ihre Landsleute in Beersheba und anderswo in die Wueste vertrieben. Um die Willkuer dieser Kampagne noch zu unterstreichen, erliess das erste israelische Parlament eilig eine Reihe von Gesetzen, um die Rueckkehr der Fluechtlinge zu verhindern und ihren ganzen Besitz zu konfiszieren, waehrend Hunderte - die grosse Mehrheit - der entvoelkerten Doerfer dem Erdboden gleichgemacht wurden.

Selbst wenn man die israelische Propaganda hinnimmt, die Verantwortung fuer die Fluechtlingsfrage liege bei den arabischen Staaten und/oder den Fluechtlingen selbst, tut dies der Gueltigkeit der Uno-Resolution 194 oder anderer internationaler Gesetze keinen Abbruch, welche die Rechte von zivilen Fluechtlingen auf Repatriierung und Entschaedigung als absolut und unveraeusserlich definieren. In Jugoslawien, beispielsweise, verliessen viele Angehoerige verschiedener Bevoelkerungsgruppen ihr Zuhause, oft freiwillig oder in der Folge ungesetzlicher Militaeroperationen ihrer eigenen Seite. Und doch behauptet niemand, diese Fluechtlinge haetten ihre Rechte verwirkt, weil sie aus Angst flohen oder dem freundschaftlichen Rat folgten, lieber voruebergehend umzusiedeln, als mit Gewalt vertrieben zu werden, oder sie seien wegen des kriminellen Verhaltens ihrer Fuehrer auf Dauerr zu enteignen - ganz im Gegenteil. Die Behauptung, Israel sei rein physisch ausserstande, mehrere Millionen palaestinensische Fluechtlinge aufzunehmen, ist nicht stichhaltig. Israel hat vor gar nicht langer Zeit Platz fuer ueber eine Million Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion gefunden und wuerde nicht zoegern, doppelt so viele Juden aus andern Laendern auch heute zu absorbieren.

Spiel mit dem Feuer

Die Frage der palaestinensischen Fluechtlinge laeuft letztlich auf die Aufrechterhaltung eines Rassensystems aus dem 19. Jahrhundert im Nahen Osten des 21. Jahrhunderts hinaus. Israel will die Palaestinenser nicht, weil sie keine Juden sind. Es weigert sich, ihre Rechte anzuerkennen oder auch nur die historische Verantwortung fuer ihre Leiden einzugestehen, weil es darauf beharrt, ein Staat nur fuer Juden zu sein. Auf dieser Grundlage wird jeder Person ueberall auf der Welt, die einen juedischen Grosselternteil hat, durch das israelische Gesetz die sofortige Staatsbuergerschaft garantiert, waehrend jeder Palaestinenser, der in Palaestina geboren und spaeter vertrieben worden ist, durch das gleiche Gesetz zum permanenten Exil verurteilt wird. Im aeussersten Fall bietet dieses Gesetz Palaestinensern ein Touristenvisum fuer ihr eigenes Land an.

Es soll daran erinnert werden, dass der Kampf der Palaestinenser schon vor der israelischen Besetzung des Westjordanlandes und des Gazastreifens begann und eigentlich von Fluechtlingen aus dem Krieg von 1948 auf Grund ihres Rechts auf Heimkehr in Gang gesetzt wurde. Diese Streitfrage mit einer formellen Erklaerung, dass palaestinensische Fluechtlinge keinerlei Rechte mehr haben, oder mit einer Art textlichem Rechtskniff, wie ihn der amerikanische Praesident Clinton und sein Nahostberater Dennis Ross in ihren letzten Amtstagen vorgeschlagen haben, loesen zu wollen, kommt einem Spiel mit dem Feuer gleich. Die Verweigerung der Rechte und Ansprueche palaestinensischer Fluechtlinge hat bereits ein halbes Jahrhundert des Konflikts verursacht. Eine zusaetzliche Ablehnung im Kontext eines Friedensabkommens wird Millionen von Fluechtlingen sogleich in entschiedene Friedensfeinde verwandeln und in eine gut voraussagbare Explosion muenden.

Wahrheitskommission gefordert

Laut Statistik der Vereinten Nationen wird der durchschnittliche Fluechtling nach sieben Jahren repatriiert oder wieder angesiedelt. Im Falle der Palaestinenser - von denen ungefaehr 75 Prozent Fluechtlinge, zumeist obendrein staatenlos sind - verhaelt es sich mit dem Durchschnitt so, dass einer als Fluechtling geboren wird und als Fluechtling stirbt. Solange diese Situation anhaelt, wird es in Nahost keinen Frieden und fuer Israel bestimmt keine Sicherheit geben. Ob jeder palaestinensische Fluechtling wirklich in sein ehemaliges Haus oder das seiner Vorfahren zurueckkehren will, wenn ihm die Gelegenheit dazu geboten wird, ist eine offene Frage. Aber die Verweigerung dieses Rechts hat es fuer sie alle zu einem heiligen Recht gemacht. Trotzdem haben palaestinensische Aktivisten und Gelehrte, die sich fuer die Rechte ihres Volkes einsetzen, pragmatische Vorschlaege ausgearbeitet, die den Beduerfnissen nicht nur der Fluechtlinge, sondern auch Israels und der arabischen Gastlaender und damit dem regionalen Frieden entgegenkommen wuerden. Doch ohne eine offene, unzweideutige Erklaerung Israels, mit der es die Verantwortung fuer das Fluechtlingsproblem und die daraus resultierenden Leiden uebernimmt, hat keiner dieser Vorschlaege eine Erfolgschance. Es ist nur natuerlich, dass diejenigen, deren Vertreibung anzuerkennen Israel sich weigert, sich ihrerseits weigern, Israel anzuerkennen.

Weil die Fluechtlingsfrage den eigentlichen Kern des israelisch-palaestinensischen Konflikts ausmacht und fuer dessen Loesung von zentraler Bedeutung ist, hat der palaestinensische Intellektuelle Edward Said die Einsetzung einer Wahrheitskommission nach suedafrikanischem Muster vorgeschlagen, um eine Versoehnung zu foerdern. Wie bei der internationalen Untersuchungskommission, die von den Palaestinensern am Anfang der gegenwaertigen Intifada vorgeschlagen worden ist, werden solche Gremien im Allgemeinen von Leuten abgelehnt, die etwas zu verbergen oder etwas zu verlieren haben oder beides. Die Angelegenheit der palaestinensischen Fluechtlinge ist in mancherlei Hinsicht einzigartig. Einer dieser Aspekte ist, dass die Fluechtlinge ihre Ansprueche gegen einen Staat und ein Volk anmelden, die waehrend des vergangenen halben Jahrhunderts und insbesondere in den letzten Jahren Streitfragen um Rueckerstattung zu einer exakten Wissenschaft gemacht haben. In diesem Zusammenhang ist es voellig richtig, dass Israel am gleichen Standard gemessen wird, den die Juden so beharrlich von anderen verlangen, und dass eine explizite israelische Anerkennung der Fakten als Basis fuer sinnvolle Verhandlungen dienen soll, die zu einer gerechten und dauerhaften Regelung fuehren.

* Der Autor ist Sozialwissenschafter und lebt in der unter palaestinensischer Autonomieverwaltung stehenden Stadt Ramallah in Cisjordanien. Sein Artikel erschien bereits in der in London herausgegebenen Fachzeitschrift «Middle East International».



Deutsche Muslim-Liga Bonn e.V. - 1422 / 2001