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Eine Reise zur eigenen Identität Berlin

von Ruby Lechtenbörger, Mitglied in der DMLBonn, für zwei Jahre beruflich im Goethe-Institut Kabul, Afghanistan

„Hilf’ Dir selbst, dann hilft Dir Gott“ lautet eine afghanische Redewendung. Werde aktiv, dann kannst Du auch was in Deinem Leben bewirken. Auch kleine Schritte führen zum Erfolg. Dies sind wohl Lebensmotti, die mich in meiner Entscheidung, nach Kabul zu gehen, bestärkt haben.

Unglaublich, dass ich jetzt in Kabul bin. Ich, die ich doch seit meinem fünften Lebensjahr 25 Jahre mit meiner Familie in Deutschland lebe. 25 Jahre, eine Ewigkeit, eine Zeit, für die ich den Deutschen sehr dankbar bin. Sie, die uns in unserer Not 1980 in ihr Land aufgenommen haben. In Deutschland habe ich eine schöne Zeit verbracht, habe den Luxus von Bildung genossen sowie Freiheiten, die Frauen in anderen Ländern nicht immer haben.

Für zwei Jahre arbeite ich als Diplom-Bibliothekarin im Goethe-Institut Kabul. Der Hauptschwerpunkt meiner Arbeit liegt in der Ausbildung der einheimischen Bibliothekare. Das ist eine große Herausforderung und eine verantwortungsvolle Aufgabe, deren Weg mit so einigen Hindernissen gesät ist. Hindernisse, die ich zu bewältigen bereit bin. Für Menschen, die 25 Jahre lang Not gelitten haben, Mängel an Ernährung und vor allem auch Mängel an Bildung. Menschen, die uns brauchen, die vor allem gebildete Exilafghanen brauchen, die ihnen ob ihrer nicht vorhandenen Englischkenntnisse Bildung vermitteln können.

Seit nunmehr vier Monaten hier habe ich mich schon gut eingelebt. Kabul ist trotz der Zerstörungen eine landschaftliche Augenweide. Diese Berge mit den Lehmhäusern machen den Reiz der Landschaft aus. Die Menschen sind hungrig und durstig nach Bildung. Sie haben das Lernen verlernt. Deswegen braucht es lange Zeit, bis sie wieder in einen entsprechenden Rhythmus kommen.

Freundschaften habe ich geschlossen und fühle mich unter meinen Kollegen/innen gut aufgehoben. Insbesondere habe ich meine afghanischen Kollegen sehr ins Herz geschlossen. Die afghanische Sprache Dari, eine der Amtssprachen, lässt viel Humor zu. Ich liebe diese Sprache, die mich zum Lachen bringt.

Als Frau in Kabul ist es nicht unbedingt einfach, schon gar nicht als allein stehende Frau. Daher ist es gut, dass ich ein Umfeld habe, in dem ich wie in einem Kokon sicher eingehüllt bin. Die Augen der afghanischen Männer lechzen ob ihres Analphabetismus und der „ein-geburkten“ Frauen während der Talibanzeit nach Frauen. Das ist ziemlich unangenehm für Frauen, zumal sie auch häufig angemacht werden. Fragen, wie ob ich Afghanin und verheiratet sei, sind hier gang und gäbe. Frauen werden hauptsächlich als Objekt, als Hausfrau und Gebärmutter-Maschine angesehen. Solche Ansichten muten steinzeitalterisch an für moderne Frauen wie mich, die noch dazu beruflich alleine ohne Ehemann nach Kabul gehen.

Auch scheinbar gebildete Afghanen, die vorübergehend im Ausland lebten, haben teilweise antiquierte Ansichten, was Frauenrechte anbelangt. Nur die Frauen selbst können ihre Situation ändern. Dies kann schon durch kleine Schritte geschehen, wie z. B. dass sie sich öfter in der Öffentlichkeit, z. B. auf kulturellen Veranstaltungen oder auch nur in Parks oder Restaurants blicken lassen und sich das Grapschen der Männer auf dem Basar nicht gefallen lassen.

Aber es hat sich schon Einiges in Kabul geändert. Noch vor drei Jahren, habe ich mir sagen lassen, waren kaum Frauen auf der Straße zu sehen. Durch die Rückkehr von Afghaninnen aus dem Iran und Pakistan hat sich das geändert. Auch tragen weniger Frauen Burka als früher. In den Provinzen Afghanistans ist das aber zum größten Teil anders. Dort tragen Frauen fast ausschließlich Burka.

In Kabul wird mir bewusst, wie sehr ich doch deutsch bin. Die deutsche Pünktlichkeit, Ordentlichkeit und Sauberkeit sind Teil meiner Persönlichkeit. Andererseits sehe ich aber auch, in welchen Punkten ich mehr afghanisch bin. Ich liebe es, mit meinen afghanischen Kollegen zusammen zu sitzen, zu quatschen, zu lachen, ohne jegliches Pi-Pa-Po unkompliziert (wie z. B. ordentliche Tischgedecke) ein gemeinsames Mahl einzunehmen und die gemeinsame Gesellschaft zu genießen. Es ist super, hier Beides haben zu können. Durch die Anwesenheit der deutschen Kollegen und der afghanischen Kollegen habe ich beide Teile meiner Identität.

Der Ramadan hat gerade in Kabul begonnen. Viel habe ich bisher nicht mitbekommen, außer dass es angenehm ist, mit Gleichgesinnten zu fasten. Der sowieso schon chaotische Verkehr ist erstaunlicherweise noch schlimmer geworden. Staus und unruhige Fahrer blockieren die Straßen von Kabul. Die Behörden des öffentlichen Dienstes schließen ihre Pforten schon mittags. Die Menschen sind unruhiger und können sich nicht mehr so wie gewohnt konzentrieren. Die meisten fasten jedoch meiner Meinung nach nicht freiwillig, sondern unterliegen dem Gesellschaftsdruck, was ich sehr schade finde. Afghanen, die nicht fasten wollen, können das nur heimlich.

Kabul ist sehr staubig und schmutzig. Durch den ständigen Staub (von den vielen Ruinen und den Neubauten sowie vom vielen Verkehr) ist tägliches Putzen vonnöten, was jedoch oft nicht getan wird. Die Putzkultur scheint während der Kriegsjahre verloren gegangen zu sein, was natürlich auch schlechtere hygienische Bedingungen und Krankheiten zur Folge hat. Der Staub setzt sich in der Nase ab. Dadurch ist die Nase immer verstopft. Eine funktionierende Kanalisation gibt es nicht. Die Straßen haben meist einen Graben, in dem sich die Abwässer befinden, die noch zudem ob der Armut von vielen Einwohnern getrunken werden. Das verursacht dann Krankheiten wie z. B. Cholera.

Sauberes Essen ist nicht überall in Kabul zu bekommen. So kann ich nur in ausgewählte Restaurants gehen. Obst und Gemüse esse ich nicht auswärts, da sie meist nicht gewaschen werden. Wasser trinken wir nur aus Mineralwasserflaschen und auch unseren Tee kochen wir nur mit dem Mineralwasser. Zu den häufigsten Krankheiten, mit denen wir hier zu kämpfen haben, gehören Durchfälle und Erbrechen.

Kabul hat viel zu viele Einwohner. Die Einwohner Kabuls sind hauptsächlich keine Kabuler mehr. Sie sind aufgrund der sicheren Lage und des besseren Arbeitsmarktes aus anderen Städten und Dörfern nach Kabul gekommen. Deswegen hat Kabul heute auch viel mehr „traditioneller“-denkende Menschen als vor den Kriegszeiten. Die eigentlichen Kabuler, die Akademikerschicht, sind fast alle im Ausland, zumeist in Amerika und Europa.

Es gibt viele ausländische Institutionen und Organisationen in Kabul, zumeist NGOs (Non- Governmental Organizations). Diese haben die Kabuler Preise in die Höhe getrieben. Preise, die anderswo nicht bezahlt werden würden, sind hier normaler Alltag. Kabul ist wahrscheinlich die teuerste Stadt in Asien. Mieten für 3000, 4000, 5000 und mehr Dollar sind gang und gäbe für Häuser, die nicht der uns europäisch gewohnten Norm entsprechen. Ich schäme mich, dass die Afghanen diese Wucherpreise verlangen. Auch Lebensmittel und andere Waren, wie z. B. Bekleidung, sind überteuert, zumeist teurer als in Deutschland. Ausländer bekommen natürlich auch oft einen viel höheren Preis genannt als Einheimische.

Da ich einen Akzent habe, trotz Kopftuch moderne Kleidung und eine schicke Brille trage, werde ich meist als Ausländerin identifiziert und Händler scheuen nicht vor unverschämten Wucherpreisen zurück. Dennoch habe ich durch meine Sprache Vorteile, da meine deutschen Kollegen meist den drei- oder vierfachen Preis von dem zahlen, was ich selbst zahle.

Alleine Spazierengehen oder in Ruhe bummeln ist für mich nicht mehr drin. Dies sind schon Einschränkungen, die mir auf Dauer auf den Nerv gehen. Ständig brauche ich einen Begleiter und meist auch einen Fahrer.
Beim Einkaufen findet sich schnell ein Kreis von Bettlern zusammen, so dass jeder Ausländer froh ist, seinen Einkauf endlich beendet zu haben. Ab und zu habe ich mich schon verbal mit den Bettlern angelegt.

Einen beruflichen Auslandsaufenthalt kann ich nur jedem weiter empfehlen. Mein Horizont hat sich erweitert, in kürzester Zeit habe ich viele neue Erfahrungen gesammelt, meine Englisch- und Dari- Sprachkenntnisse verbessert und Freunde aus unterschiedlichen Nationen gefunden.

Schade ist nur, dass mein Rainer Ali, mein Mann, aus beruflichen Gründen erst in zwei Jahren nachkommen kann. In zwei Jahren, falls ich inshallah noch länger in Kabul bleiben sollte. Gerade an einem Aufenthaltsort wie Kabul braucht der Mensch den privaten Ausgleich und die Unterstützung des Partners umso mehr.

Eines Tages werde ich nach Deutschland zurückkehren. Die Zeit in meiner afghanischen Heimat werde ich nicht missen wollen. Ich schließe jedenfalls nicht aus, länger als zwei Jahre in Kabul zu bleiben.

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Deutsche Muslim-Liga Bonn e.V. - 1427 / 2006